07.11.2008
Reproduktionsmedizin: Kinderwunsch nach Chemotherapie
Wie kann der Kinderwunsch nach Chemotherapie oder Bestrahlung möglichst zuverlässig und ohne Risiken für Mutter und Kind erfüllt werden? Darüber diskutieren rund 200 Experten am 14. und 15. November 2008 in Heidelberg beim internationalen Kongress der "European Society of Human Reproduction and Embryology" (ESHRE). Renommierte Wissenschaftler der Bereiche Gynäkologie, Reproduktionsmedizin, Chirurgie, Psychologie und Onkologie aus ganz Europa stellen den aktuellen Stand bewährter und innovativer Verfahren zum Schutz der Fruchtbarkeit bei Krebserkrankungen vor.
Die Tagung wird von der Arbeitsgruppe "Europäische Task Force zum Schutz der Fruchtbarkeit bei Frauen mit Krebserkrankungen" unter der Leitung von Professor Dr. Michael von Wolff, Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen an der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg organisiert. Die "Task Force" der ESHRE wurde im April 2007 auf Initiative der Heidelberger Abteilung (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. Thomas Strowitzki) gegründet.
"Dieser Kongress ist die größte Tagung zu diesem Thema auf europäischer Ebene", erklärt Professor von Wolff. "Unser Ziel ist es, den Austausch über innovative Verfahren und Forschungsergebnisse weiter zu verbessern und die Zusammenarbeit der europäischen Zentren für Fortpflanzungsmedizin zu stärken." Gleichzeitig soll die Bevölkerung für das Thema sensibilisiert werden: Viele Krebspatientinnen begraben ihren Kinderwunsch, weil sie die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin nicht kennen. "In Europa müssen junge Krebspatientinnen nicht kinderlos bleiben", so Professor von Wolff.
Die Themen des Kongresses decken ein weites Spektrum ab: Wie wirken sich Chemotherapien auf Eierstöcke und Hoden aus? Welche schonenden chirurgischen Eingriffe sind z.B. bei Gebärmutterhalskrebs möglich? Wie überstehen Keimzellen und Gewebe die Konservierung am besten? Stellt die Schwangerschaft möglicherweise ein Risiko für die Rückkehr der Krebserkrankung dar? Schwerpunktthemen sind die Rück-Transplantation von Eierstockgewebe, das der Patientin vor der Krebsbehandlung entnommen wurde, und ein neues Verfahren, das die Zeit bis zur Entnahme von Eizellen verkürzt.
Das neue Verfahren wurde innerhalb des 2006 gegründeten Deutschen Netzwerks für fertilitätserhaltende Maßnahmen bei Chemo- und Strahlentherapien, "FertiPROTEKT" (
www.fertiprotekt.de), unter der Leitung der Heidelberger Abteilung entwickelt und im Oktober 2008 in der Zeitschrift "Fertility and Sterility" veröffentlicht: Sollen einer Frau vor Beginn der Krebstherapie Eizellen entnommen werden, ist häufig eine hormonelle Stimulation der Eierstöcke notwendig. Bisher werden die Hormone nach der Regelblutung zu Beginn des nächsten Zyklus verabreicht, was eine Wartezeit von bis zu sechs Wochen bedeuten kann. "Diese Zeit haben viele Patientinnen nicht, weil ihre Krebsbehandlung möglichst schnell einsetzen muss", so Professor von Wolff. Nun ermöglicht eine neue Kombination von Hormonen die Stimulation auch in einer späten Phase des Monatszyklus und verkürzt die Wartezeit auf maximal zwei Wochen.
"Besonders interessant ist diese Technik in Kombination mit anderen Verfahren, die derzeit ebenfalls im Netzwerk FertiPROTEKT entwickelt werden. So sind wir in der Lage, den Patientinnen maßgeschneiderte Hilfe anzubieten", erklärt Professor von Wolff. Inzwischen gibt es eine große Auswahl neuer medikamentöser Therapien und reproduktionsmedizinische Techniken, um den Kinderwunsch nach Krebs zu ermöglichen.
Chemotherapie oder Bestrahlung können Eierstöcke und Hoden irreversibel schädigen. Bei jungen Männern können vor der Behandlung problemlos Spermien tief gefroren werden; bei Frauen ist die Situation jedoch aufwendiger. Es wird geprüft, ob die Krebstherapie gegebenenfalls um kurze Zeit verschoben werden kann, um den Frauen z.B. nach einer Hormonstimulation Eizellen zu entnehmen und unbefruchtet oder befruchtet einzufrieren. Z.B. im Rahmen der so genannten "In vitro Maturation" ist eine Entnahme von Eizellen auch ohne eine vorhergehende Hormonstimulation möglich.
Schließlich besteht die Möglichkeit, Medikamente zu geben, die die Eierstöcke bei einer Chemotherapie zu schützen scheinen, die Eierstöcke vorübergehend aus der Bestrahlungszone zu verlegen oder Eierstockgewebe zu entnehmen und einzufrieren, um es später wieder zu transplantieren. Allerdings handelt es sich nicht um Routineverfahren: Nur erfahrene reproduktionsmedizinische Zentren sollten in diesem Bereich tätig werden.
Der Kongress findet am 14. und 15. November 2008 im Kommunikationszentrum des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg, statt.
Literatur:
Michael von Wolff, Christian J. Thaler, Torsten Frambach, Cosima Zeeb, Barbara Lawrenz, Roxana M. Popovici, Thomas Strowitzki: Ovarian stimulation to cryopreserve fertilized oocytes in cancer patients can be started in the luteal phase, Fertility and Sterility, in Press, Corrected Proof, Available online 18 October 2008.
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg