http://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/faszination-wissen/index.xml;jsessionid=V3VFJ01LILSLGCSBUKUCM4Q Pillen statt Salat Sinn und Unsinn der Nahrungsergänzung
Es sind beinahe Horrormeldungen, die uns immer wieder begegnen: Die Böden seien ausgelaugt. Obst und Gemüse enthielte deswegen weniger Vitamine und Mineralstoffe als früher. Die industrielle Verarbeitung in der Lebensmittelindustrie trage ein Übriges dazu bei. Wer nicht mit Zusatzprodukten nachhelfe, erhöhe das Risiko für schwere Erkrankungen.
So kann man es lesen – vor allem im Internet. Da wundert es wenig, dass ein Viertel der Erwachsenen - und sogar die Hälfte der über 55jährigen - regelmäßig Präparate mit Vitaminen, Mineralstoffen oder Pflanzenextrakten kauft. Eine Milliarde Euro geben die Bundesbürger jährlich für Nahrungsergänzungsmittel aus. Faszination Wissen wollte herausfinden, ob sich diese Ausgaben tatsächlich lohnen.
Die Lebensmittelchemiker der Universität Kaiserslautern sind Spezialisten auf dem Gebiet der Inhaltsstoffe von Obst und Gemüse. Sie haben die These vom angeblichen Nährstoffmangel untersucht. Und keinen Hinweis darauf gefunden, dass bei einer ausgewogenen Ernährung der Körper mit Vitaminen oder Mineralsstoffen unterversorgt wird. Professor Gerhard Eisenbrand, der Leiter der Forschungsgruppe, nennt den angeblichen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen einen „Mythos“. Diese Erkenntnis stützt auch eine Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Sie hat den Nährstoffgehalt dreier Lebensmittel in den letzten 50 Jahren verglichen. Demnach enthalten Orangen heute genauso viel Vitamin C wie vor 50 Jahren. Das gleiche gilt für Kartoffeln. Nur bei Äpfeln schwanken die Werte über die Jahre hinweg. Allerdings halten das die Wissenschaftler eher für jahreszeitlich bedingt, und sehen darin kein Indiz für einen generellen Verlust an Nährstoffen.
Tablette ins Glas – fertig?
Aber viele Menschen entscheiden sich für Nahrungsergänzungsmittel nicht unbedingt, weil sie Angst haben aus der Natur nicht mehr ausreichend versorgt zu werden. Sondern, weil sie statt umständlich zu schälen oder zu kochen lieber zu Pille und Pulver greifen. Aber die Präparate können das echte Obst und Gemüse nicht ersetzen. Die Lebensmittelchemiker der Universität Kaiserslautern haben untersucht, wie sich regelmäßiger Apfelsaftkonsum auf die Gesundheit auswirkt. Das Ergebnis: Der Fruchtsaft wirkt entzündungshemmend, kann sogar Darmkrebs vorbeugen. Mit einzelnen isolierten Pflanzenstoffen aus dem Apfel gelingt das nicht. Gerhard Eisenbrand ist überzeugt, dass echte Lebensmittel umfänglicher und besser wirken und die einzelnen Inhaltsstoffe zudem sich in ihrer Wirkung gegenseitig unterstützen. Zum Beispiel beim Einfangen der sogenannten freien Radikale – also aggressiven Molekülen, die Zellen angreifen und das Erbgut beschädigen können. Vitamine – etwa aus dem Apfel – fangen freie Radikale ein. Die in der Frucht enthaltenen Farbstoffe helfen ihnen dabei.
Rote Früchte fürs Immunsystem
Johannisbeeren
Noch besser aber ist, haben die Lebensmittelchemiker in Kaiserslautern herausgefunden, ein roter Fruchtsaft aus Brombeeren, Weintrauben, Johannisbeeren, Kirschen und Holunder. Mit ihm gelang es den Wissenschaftler nach einiger Zeit die Immunwerte von gesunden und kranken Versuchspersonen deutlich zu verbessern. Eine Analyse des Blutbildes zeigte sogar, die Inhaltsstoffe des roten Fruchtsaftes sind in der Lage, Schäden am Erbgut zu verhindern.
Der Klassiker: Probiotischer Jogurt
Das Immunsystem zu stärken, verspricht seit Jahren auch Probiotischer Joghurt. Die Idee dahinter: Dem Joghurt werden speziell gezüchtete Bakterien zugesetzt, die in der Darmflora angeblich die natürlichen Abwehrkräfte stärken. Ein Test der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kiel schien das zunächst zu bestätigen: In einer Versuchsgruppe bekam die eine Hälfte der Probanden täglich eine Tablette mit drei probiotischen Bakterienstämmen und Vitaminen, die andere nur Vitamine. Die Gruppe ohne Probiotik-Tabletten war zwar nicht öfter erkältet, aber länger: Durchschnittlich neun statt sieben Tage.
Test mit normalem Jogurt
Allerdings überprüften Wissenschaftler an der Universität Wien das Ergebnis noch einmal und machten ein weiteres Experiment. Ihre Kontrollgruppe bekam einen herkömmlichen Jogurt. Bei beiden Jogurtarten – probiotisch und herkömmlich – stellten sie hinterher einen vergleichbaren positiven Effekt fürs Immunsystem fest. Also, jeder Jogurt scheint gut fürs Immunsystem zu sein.
Was nicht nützt, schadet auch nichts?
Pillen
Nahrungsergänzungsmittel sind rechtlich gesehen Lebensmittel. Anders als Medikamente bedarf es keiner strengen Zulassungsprüfung, um sie auf den Markt zu bringen. Trotzdem werden sie kontrolliert, wenn auch nur stichprobenartig. Im Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in München-Oberschleißheim werden täglich ein Dutzend neuer Präparate getestet. Und 50 Prozent davon beanstandet. Etwa Meeresalgentabletten, die einen so hohen Jodgehalt haben, dass sie bei älteren Menschen mit Schilddrüsenstörung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können.
Überdosierte Vitamine
Selbst Vitamine kann man zu hoch dosieren. Wer beispielsweise täglich ein ACE-Vitamin-Präparat zu sich nimmt, hat die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Höchstmenge dieser Vitamine schnell überschritten. Vitamin E in großen Mengen kann den Hormonhaushalt der Schilddrüse durcheinander bringen. Zu viel Vitamin C, das Risiko für Nierensteine oder Gicht erhöhen. Auch das lange Zeit als „Rauchervitamin“ angepriesene Pro-Vitamin A, ist in die Kritik geraten. Hohe Dosen senken keineswegs das Lungenkrebsrisiko, hat eine amerikanische Studie herausgefunden. Im Gegenteil, sie erhöhe es sogar. Viele Ernährungswissenschaftler stehen hochdosierten Vitaminpräparaten aufgrund neuerer Untersuchungen inzwischen skeptisch gegenüber.
Individuelle Ernährung der Zukunft
Orange
Vitamine sind lebenswichtig. Nicht als Nahrungsergänzungsmittel, sondern als Bestandteil der Nahrung. Vitamine können die Aktivität von Genen beeinflussen und damit das Risiko für bestimmte Krankheiten minimieren. Unsere gesamte Ernährung wirkt sich so auf unser Erbgut aus. Der Forschungsbereich der Nutrigenomik versucht anhand der Genvariationen in unserem Erbgut herauszufinden, wer was essen sollte. Eine Art individuelle Diät für Jedermann zu entwickeln. Nutrigenomik-Analysen sollen zum Beispiel zeigen, ob ein Mensch Milch, Fett und Zucker normal verarbeitet oder in seiner Ernährung auf einen Teil besser weitgehend verzichtet. Solche individuellen Empfehlungen könnten in Zukunft das Risiko für Fettleibigkeit oder Herz-Kreislauf Erkrankungen verkleinern.
"Maßgeschneiderte Ernährung möglich"
Die Ernährungsphysiologin Hannelore Daniel von der Technischen Universität München, ist sich sicher: Die maßgeschneiderte Ernährungsempfehlung ist möglich. Allerdings nicht heute. Sondern, so schätzt sie, vielleicht in fünf bis zehn Jahren: Die Nutrigenomik-Test, die heute schon angeboten werden kosten zwischen 300 und 600 Euro. Von einer maßgeschneiderten Diagnose für Jedermann ist die Nutrigenomik aber noch weit entfernt.
Zu viel Fast Food, zu wenig frische Salate und eine Menge Alltagsstress - diese Kombination kann zu einem Vitaminmangel führen und damit auch zu einem Risiko für die Gesundheit werden. Um dem vorzubeugen, schlucken immer mehr Menschen Vitaminpillen, die angeblich gleich den Tagesbedarf an mehreren Vitaminen decken. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt. Etwa eine Milliarde Euro wird jährlich umgesetzt. Ob das Schlucken von Pillen, Kapseln und Dragees aber sinnvoll ist, ist wissenschaftlich umstritten.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) vertritt die Position, dass gesunde Erwachsene keine Nahrungsergänzungsmittel nehmen müssen. "Statt bunte Pillen zu schlucken, sollte man auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung achten", empfiehlt die DGE-Referentin Antje Gahl. Christina Teuthorn sprach mit der Diplom-Ökotrophologin.
Sie können das Interview in diesem Dossier nachlesen. Das Dossier wurde ergänzt durch die Biologin Dr. Andrea Flemmer, die unter anderem die Bücher "Die Vitamin-Lüge" und "Das Mineralstoff- Kochbuch" verfasste.
Sinnvolle Vorbeugung gegen Erkältung?
Jedes Jahr trifft rund 50 Mio. Deutsche das Dilemma der Erkältung, allein die Taschentücherproduzenten profitieren von den über 200 verschiedenen Erkältungsviren. Denn gegen die Erkältung ist noch kein Kraut gewachsen, dafür aber viele Mythen, an denen, so hoffen die von Schnupfen, Husten und Gliederschmerzen Geplagten, ja vielleicht doch das ein oder andere dran ist.
Sonnenhut oder Echinacea
Angefangen mit dem Sonnenhut gegen Atemwegserkrankungen haben die Indianer Nordamerikas. Befürworter sprechen von einer Vermehrung der weißen Blutkörperchen, was wiederum zu einer Stärkung des Immunsystems führe. Neueste Studien sagen sogar, dass Echinacea Substanzen enthält, die ähnlich wirken wie Cannabinoide, das könnte bedeuten, dass der Sonnenhut auch für andere entzündliche Erkrankungen eingesetzt werden könnte. Auf jeden Fall ist der Sonnenhut nicht nur in Deutschland ein Millionengeschäft. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen haben allerdings bis jetzt keinen Effekt auf Erkältungskrankheiten zeigen können. Ebenso wenig eine Stärkung des Immunsystems. Für Allergiker, die auf Korbblütler reagieren, sind Echinacea-Produkte nicht geeignet.
Beispiel Vitamin C
Vitamin C unterstützt zwar das Immunsystem bei der Abwehr von Infekten, ein Mangel tritt aber beim gesunden Normalbürger in Deutschland nicht auf. Eine infektionsverhütende Wirkung ist außerdem nicht belegt. Hinzu kommt, dass Vitamin dem Körper ständig zugeführt werden müsste, da er es nicht speichern kann: Also zu viel auf einmal wandert nur in die Kanalisation.
Beispiel Zink
Damit das Immunsystem überhaupt funktioniert, braucht es Zink. Außerdem kann man sich durchaus in Situationen mit erhöhtem Bedarf befinden. Bei ausgewogener Ernährung wird aber auch hier der Bedarf voll gedeckt. Ist man aber erkältet, kann eine kleine Extradosis ganz gut tun, besagen Studien. Als Therapie ist es jedoch nicht zu empfehlen.
Obst und Gemüse Der Mythos vom Vitaminmangel
"Die Monokulturen moderner Landwirtschaft laugen mit Kunstdünger und viel Chemie die Böden aus. Unsere hochgezüchtete Feldfrüchte enthalten deshalb alles Mögliche aber nicht mehr genügend Vitamine." Diese Aussage klingt einleuchtend, hat aber einen Haken: Sie stimmt nicht! Der angebliche Mangel ist eine Marketinglüge der Vitaminpillen-Hersteller, sagen Ernährungsforscher.
Folienverpacktes Obst
Gemüse aus dem Gewächshaus, Getreide aus der Monokultur, zu früh geerntetes Obst vom anderen Ende der Welt - kann das noch gesund sein? Aber ja doch, sagen Ernährungsforscher. Zwar ist das Internet voll von Meldungen über einen immensen Nährstoffschwund bei Feldfrüchten. Aber die angeblichen Vitaminverluste von bis zu 80 Prozent, von denen man immer wieder liest, sind ein Gerücht. Das können die Wissenschaftler von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (BfEL) in Karlsruhe sicher sagen - schließlich bestimmen sie seit Jahrzehnten regelmäßig die Inhaltsstoffe von Obst und Gemüse.
Weniger Geschmack als früher, aber genauso viele Vitamine
Das eindeutige Ergebnis: Äpfel, Gurken oder Kartoffeln mögen zwar wässriger schmecken als noch vor zwei Jahrzehnten. Doch von einem dramatischen Vitaminschwund in unserem Obst und Gemüse - keine Spur. Die Forscher beobachten nur natürliche Schwankungen im Nährstoffgehalt, je nach Jahreszeit und Herkunftsregion der Feldfrüchte. "Aber die sind ernährungsphysiologisch, also von der gesundheitlichen Bewertung her, absolut unbedeutend", resümiert BfEL-Chef Bernhard Watzl.
Logo "5 am Tag"
Ernährungsforscher Bernhard Watzl glaubt zu wissen, warum die Mär vom Vitaminschwund trotzdem immer wieder auftaucht: "Es gibt bestimmte Lobbygruppen, die genau an solchen Aussagen ein großes Interesse haben - mit dem Hintergrund, dass die Verbraucher teure Nahrungsergänzungsmittel kaufen, um die angeblich minderwertige Qualität von Obst und Gemüse kompensieren." Doch das ist völliger Humbug. Schließlich liefert eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung alle nötigen Vitamine in ausreichender Menge, da sind sich alle Essensforscher einig.
Selbst Kantinen-Food ist noch nährstoffreich genug
Mehr über die Gesundheits-Kampagne "5 am Tag" unter
www.5amtag.de - inklusive Motivationstipps und Rezepten.
Aber wer isst schon wirklich mindestens fünfmal täglich Obst und Gemüse, wie es Gesundheitsforscher empfehlen? Nur die Wenigsten nehmen Karottenschnitze oder Obst mit ins Büro. Und wenn's mal wieder stressig wird, landet man doch wieder beim Fast Food oder in der Kantine. Viele Menschen plagt dann das schlechte Gewissen. Ganz umsonst, sagen Ernährungsmediziner der Universität Hohenheim. Sie haben anhand von vielen Proben aus der Wangenschleimhaut nachgemessen, wie gut der Körper "normaler" Esser mit Vitaminen versorgt ist. Und geben Entwarnung: Bei unseren Lebensmitteln besteht für einen gesunden Erwachsenen kaum ein Mangelrisiko. Selbst wenn unsere Essgewohnheiten besser sein könnten.
Vitamin-Pillen nützen nur den Herstellern
Außerdem bildet der Körper Vitaminreserven. Insofern ist auch eine vorübergehende "Hamburger-und-Döner-Phase" kein Beinbruch für unseren Nährstoffhaushalt. Selbst eine Mangelversorgung über mehrere Jahre ruiniert nicht sofort die Gesundheit, erklärt der Hohenheimer Mediziner Stephan Bischoff: "Grundsätzlich könnte jahrelanger Vitaminmangel nach dem derzeitigen Stand der Forschung aber dazu führen, dass Alterserkrankungen, die uns alle irgendwann ereilen, vielleicht ein bisschen häufiger und ein bisschen schneller auftreten."
Obstsalat
Es schadet also sicher nicht, auf eine relativ ausgewogene Ernährung zu achten. Ergänzende Vitaminpillen nützen dem Körper jedoch kaum, sagt Bernhard Watzl: "Sie enthalten im Gegensatz zu den natürlichen Feldfrüchten keine sekundären Pflanzenstoffe - und die spielen für die Gesundheit eine ganz entscheidende Rolle." Im Klartext: Vom Milliardengeschäft mit der angeblich hochkonzentrierten Gesundheit in Pillenform profitieren nur die Hersteller.