"Plusminus" – am Mittwochabend, 22. Januar 2014, um 22:05 Uhr im Ersten.
Die Sendung wird in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag um 05:00 Uhr wiederholt.
Wie Krankenkassen auf neue Krebstherapien reagieren
Im Kampf gegen den Krebs gibt es immer wieder neue Therapien. Eine davon ist die
Protonentherapie. In manchen Krankenhäusern
wird sie schon seit längerem erfolgreich eingesetzt. Doch eine Reihe von Patienten bleibt dabei auf ihren Behandlungskosten sitzen.
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http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/mdr/2014/sendung-vom-22012014-110.htmlNeue Strahlentherapie: Warum einige Patienten auf ihren Behandlungskosten sitzen bleiben
Zwei Patienten mit dem Befund Prostatakrebs. Beide bekommen in einer Klinik in München eine Strahlenbehandlung mit Protonen, die in beiden Fällen erfolgreich ist. Aber nur die Kasse von einem von ihnen übernimmt die Behandlung! Warum ist das so?
Fall 1: Peter Meisner
Mann mit einem Netz über dem Kopf. Auf sein Auge ist ein Rohr gerichtet.
In den USA schon seit 20 Jahren Standard: Die Protonentherapie
Er ist 2010 an Krebs erkrankt. Dem Anwalt haben die Ärzte damals zur OP oder einer herkömmlichen Röntgenbestrahlung geraten. Wegen der Gefahr von Impotenz und Inkontinenz lässt dieser aber davon ab und entscheidet sich für die Protonentherapie. Der Vorteil des Verfahrens im Vergleich zu Röntgenstrahlen: Röntgenstrahlen durchdringen den Körper vollständig und schädigen auf ihrer Wegstrecke nicht nur den Tumor, sondern auch das getroffene, gesunde Gewebe rund um den Tumor. Bei der Protonenstrahlung ist das anders. Protonen sind winzige Teilchen, die erst im Ziel Energie abgeben. Unterwegs richten sie aber keinen Schaden an. Das schont das gesunde Gewebe. Und man kann zielgenau den Tumor bekämpfen, sogar, wenn er sehr tief im Körper sitzt. Ärzte wie Dr. Hans Rinecker haben gute Erfahrungen mit der Protonenbestrahlung:
»…wir haben bei allen 1800 Patienten, die wir bisher mit dieser Methode bestrahlt haben, weniger Strahlung, weniger Nebenwirkungen, weniger Strahlen in die Umgebung gesetzt.«
PD Dr. Hans Rinecker:Rinecker Proton Therapy Center
Ein weiterer Vorteil: Das Verfahren ist so schonend, dass es oft ambulant durchgeführt wird. Die Patienten können nach einer Bestrahlung meist wieder nach Hause. Bei Prostata-Patient Meisner führt die ambulante Bestrahlung im Mai 2013 zu einem guten Ergebnis. Seine PSA-Blutwerte, an denen man den Tumor identifiziert, sind seitdem unauffällig niedrig. Er ist mit der Behandlung sehr zufrieden.
»Die Erwartungen haben sich voll erfüllt. Es sind auch keine Nebenwirkungen eingetreten bisher. Ich fühle mich auch völlig als geheilt.«
Peter Meisner
Seine Krankenversicherung, die Siemens Betriebskrankenkasse, übernimmt die Kosten von etwa 18.000 Euro anstandslos. Die Kasse hat einen Versorgungsvertrag zur Kostenübernahme der ambulanten Behandlung mit der Klinik abgeschlossen.
Fall 2: Jochen Sonntag
Auch Jochen Sonntag erkrankt an Prostatakrebs. Wieder wird nur eine OP angeboten, die aber lehnt er wegen möglicher Nebenwirkungen ab. Von den Ärzten fühlt er sich unzureichend beraten und recherchiert selbst. Auch er entscheidet sich für die Protonentherapie und beantragt die Kostenübernahme durch seine Krankenkasse. Doch die lehnt ab. Jochen Sonntag ist fassungslos:
»Ich war ersteimal entsetzt, habe gefragt, warum? Man sagte mir, es gibt genug andere Behandlungsmöglichkeiten, dieses Verfahren sei experimentell und man würde das nicht bezahlen.«
Jochen Sonntag
Dr. Rinecker sieht das anders. Aus dem experimentellen Stadium sei die Protonentherapie längst hinaus, meint der Mediziner. Schließlich würden in den USA seit über 20 Jahren Patienten damit bestrahlt:
»Weltweit wurden bisher 80.000 Patienten schon behandelt. Es liegt genügend Erfahrung in der Protonentherapie vor.«
In Asien boomt die Protonentherapie bereits seit 2001. Auch in Europa ist diese Methode seit einigen Jahren klinisch etabliert. Sogar in Deutschland existieren mittlerweile fünf Protonenstrahlzentren, die nicht nur Prostatatumore, sondern auch Krebsarten wie Bauchspeicheldrüsen-, Augen-, Lungen- oder Darmkrebs behandeln. Doch die Häuser sind nicht ausgelastet. Schuld sind gesetzliche Hürden, die Kassen zwingen, Einzelfallentscheidungen zur Kostenübernahme zu treffen.
Auch Jochen Sonntag strebt eine Einzelfallentscheidung an und legt Widerspruch gegen die Ablehnung bei der Kasse ein. Um keine Zeit zu verlieren, geht er zunächst in Vorleistung. Ende 2010 bekommt er die erforderlichen 21 ambulanten Bestrahlungen zu je 1 Minute. Nach erfolgreicher Therapie reicht er die Rechnungen bei seiner Kasse erneut ein. Die lehnt wieder ab. Grund nun: wäre die Behandlung stationär erfolgt, hätten sie die Kosten übernommen. Jochen Sonntag ärgert das:
»Ich habe keine Reha gebraucht, ich habe keine Kur gebraucht, ich war im Prinzip durch die ambulante Bestrahlungsart immer arbeitsfähig und das sollte auch im Interesse der Krankenkasse liegen.«
Die Kasse aber verweist auf den Gemeinsamen Bundesausschuss. Das oberste Gremium der Ärzte und Kassen beschließt 2010, eine endgültige Entscheidung zur Kostenübernahme der Protonentherapie bei Prostatakrebs bis 2018 auszusetzen. Grund seien fehlende wissenschaftliche Studien. Laut Gesetz dürfen Kassen bis dahin in besonderen Einzelfällen Kosten übernehmen, allerdings nur bei stationärer Behandlung. Warum gilt das nicht für ambulante Therapien? Antwort des Bundesgesundheitsministeriums:
»Damit soll sichergestellt werden, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erst nach ausreichender Prüfung […] in der vertragsärztlichen Versorgung ambulant eingesetzt werden.«
Die Kasse setzt so die ambulante Protonentherapie in der Klinik mit der Behandlung in einer Arztpraxis gleich. Das kritisieren Medizinrechtler wie Rechtsanwalt Dr. Frank Breitkreutz. Er plädiert bei so einem Aufwand, die solch eine Therapie erfordert, zumindest für eine teilstationäre Einordnung.
»[…] es ist eine sehr aufwendige Therapieplanung, die einen sehr hohen Personaleinsatz erfordert die, in ärztlicher und nicht-ärztlicher Hinsicht und das ist ein sehr hoher maschineller Einsatz, das ist eine sehr aufwendige Lagerungsplanung, das ist ja eine Hochpräzisionsbestrahlung […]«
Stellt sich die Frage, ob eine so unterschiedliche Gewichtung seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses überhaupt noch zeitgemäß ist. Zumal es doch heißt:
»Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses sind nicht zuletzt für den Schutz der Patienten […]«
Das widerspricht vielen Kosten-Ablehnungen der Kassen. Denn Patienten, deren Krebs sich schnell ausbreitet, haben nicht mehr die Zeit, auf eine endgültige Entscheidung bis 2018 zu warten. Brauchen diese Methode vielleicht sofort.
Jochen Sonntag bezahlt die Behandlung zwar selbst, hat aber aus Ärger über die Reaktion seiner Kasse trotzdem vor drei Jahren Klage eingereicht. Er gilt mittlerweile medizinisch als geheilt. Andere Patienten aber müssen nicht nur um ihr Leben, sondern auch weiter um ihr Geld kämpfen.
Autoren: Mareen Mosler, Ralf-Ulrich Schmidt, Jürgen Magister
Stand: 22.01.2014 21:45 Uhr