Palliativmedizin - Das Leben erleben, jeden Tag
12.06.07
Palliativmedizin und Krebs
Jeder Mensch möchte sein Leben nach eigenen Ideen und Vorstellungen leben und genießen. Auf seine ganz individuelle Art und Weise, alleine oder mit der Familie und Freunden. Jeder, egal welchen Alters, hat Träume und Pläne für seine Zukunft. Wenn jemand aber ernsthaft krank wird und durch die Erkrankung nicht mehr am aktiven Leben teilnehmen kann, ist dies für den Betroffenen und seine Angehörigen sehr belastend. Die moderne Medizin kann heute vieles leisten, aber nicht immer ist es möglich, die Patienten auch zu heilen. Die Betreuung von Patienten mit begrenzter Lebenserwartung, aus biologischen oder krankheitsbedingten Gründen, ist täglich eine neue Herausforderung für das ärztliche und pflegerische Personal. Denn fortschreitende Erkrankungen am Lebensende bringen oft körperliches und seelisches Leid mit sich. „Dies ist für uns Ärzte nicht immer leicht, denn, mit der gesellschaftlichen Entwicklung haben sich die Erwartungen an den Berufsstand geändert“, so Dr. Christine Bienek, Funktionsoberärztin in der Klinik für Geriatrie des Elisabeth-Krankenhauses Essen. „Durch den schnellen medizinischen Fortschritt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es auch zu einer Änderung im ärztlichen Denken: Man konzentrierte sich mehr auf die Diagnose und Beseitigung von Krankheitsursachen; die Symptomkontrolle und psychosoziale Hilfestellung traten in den Hintergrund. Dazu kommt, dass der Tod heute oftmals nicht als Teil des Lebens, sondern als medizinische Niederlage verstanden wird. Aber, jedes Leben ist endlich, früher oder später. Gerade schwerkranke, ältere und sehr alte, oftmals durch Demenz psychisch veränderte Menschen haben ein Recht auf ein würdevolles Lebensende. Hier setzt die Palliativmedizin an. Sie schafft in einem gewissen Rahmen neue Perspektiven für den Patienten, um seine gegenwärtige Lebensqualität zu verbessern und die verbleibende Zeit sinnvoll nutzen zu können. Wobei nicht die Verlängerung der Lebenszeit um jeden Preis das vorrangige Ziel der Therapie ist. Gerade in der Geriatrie machen Palliativmedizin und -pflege es möglich, dass auch Hochbetagte ein lebenswertes ‚Ende’ haben.“
Neue Perspektiven
Die Palliativmedizin ist eine der ältesten medizinischen Disziplinen, denn früher gab es bei fast keiner Erkrankung einen kurativen, also heilenden, Ansatz. Während in den vergangenen Jahrzehnten die Palliativmedizin zunehmend vernachlässigt wurde, erleben wir jetzt eine Wiederentdeckung. Gerade hochbetagter Menschen oder schwerkranker und sterbender Patienten benötigen eine besondere Zuwendung, Behandlung und Begleitung. Manche körperliche Beschwerden können so belastend sein, dass das Leben unerträglich scheint. Wer beispielsweise durch seine Krankheit oder seine körperlichen Gebrechen unter ständigen Schmerzen oder Luftnot leidet, kann sein Leben kaum noch selber gestalten, geschweige denn am normalen Familienalltag oder an gemeinschaftlichen Aktionen teilnehmen. Oftmals haben diese Menschen aber noch das Bedürfnis, private Dinge zu regeln, wie ein Testament zu machen, eine letzte Reise zu unternehmen, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen, Vorkehrungen für die Angehörigen zu treffen oder einfach eine schmerzfreie Zeit mit ihren Lieben zu verbringen. Dr. Bienek: „Obwohl die Linderung von Leiden die Aufgabe aller Ärzte war und ist – ganz gleich welche Ursache dazu geführt hat oder wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist – wird die Befreiung oder Linderung von Symptomen wie Schmerzen, Angst, Unruhe, Übelkeit, Luftnot, Depression, Verwirrtheit und das Gefühl ‚allein gelassen zu werden’ zum alles überragenden Mittelpunkt der palliativen Therapie. Der Patient mit seinen Bedürfnissen steht immer im Mittelpunkt unseres Handelns – auch in seiner letzten Lebensphase. Durch die gezielte Medikation, physiotherapeutische Maßnahmen und andere Behandlungen können wir dazu beitragen, dass die verbleibende Lebenszeit nicht nur auf das Leiden beschränkt ist.“
Hilfe für die, die weiterleben
Eine weitere wichtige Aufgabe der Palliativmedizin ist die psychosoziale Betreuung der Betroffenen und deren Angehörigen und Bezugspersonen und die Sorge um die weitere Versorgung des Patienten. Denn, eine Entlassung aus dem Krankenhaus in die gewohnte häusliche Umgebung ist zwar wünschenswert, jedoch nicht immer möglich. Einige Krankenhäuser – so auch das Elisabeth-Krankenhaus in Essen – haben sich bereits spezialisiert und besondere Palliativzimmer bzw. Palliativstationen eingerichtet. Hier wird nicht nur der Patient betreut, auch die Angehörigen erfahren psychosoziale wie auch psychotherapeutische Unterstützung. Denn vielen fällt es schwer, die Krankheit des Familienmitglieds zu verarbeiten, den drohenden Verlust zu akzeptieren und einen gemeinsamen Alltag zu leben. Andere sind mit der Betreuung des Kranken überfordert und von Schuldgefühlen geplagt, wenn sie die Betreuung in professionelle Hände abgeben müssen. Hier erhalten sie Lösungsvorschläge und Unterstützung in der Organisation stationärer, teilstationärer und ambulanter Hilfen, sowie Beratung bezüglich Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Selbsthilfegruppen/Angehörigengruppen.
Es gibt immer mehr Palliativeinrichtungen, Hospize und Geriatrische Einrichtungen in Krankenhäusern, die sich auf die besondere Pflege und Betreuung schwerstkranker und älterer Menschen eingerichtet haben, wenn eine Betreuung in den eigenen vier Wänden nicht mehr möglich ist. Zusätzlich gehört eine seelsorgerische Begleitung, wenn sie vom Patienten und seinen Familienmitgliedern gewünscht wird, ebenso zum Konzept der Palliativmedizin wie die Sterbebegleitung und die Betreuung der Angehörigen in der Trauerzeit durch Trauergruppen, Einzel- oder Gruppengespräche. Dr. Bienek: „Eine solche umfassende Aufgabe und Behandlung wie sie die Palliativmedizin darstellt, erfordert ein multidisziplinäres Team, das im Allgemeinen aus hochqualifizierten Ärzten und erfahrenem, gut geschultem Pflegepersonal, Sozialarbeitern, Psychologen und Psychotherapeuten, Krankengymnasten, Physiotherapeuten und Seelsorgern besteht.“
Quelle: EKE