Hallo Gitti:-
In Berlin ist kürzlich ein solches Zentrum eröffnet worden, und ich muss sagen, dass es mich gegraust hat. Diese Zentren führen geradewegs in die Prostatektomie, wenn man Glück hat, in die Bestrahlung. Für schonende Diagnostik (= Feinnadelaspirationsbiopsien und DNA-Analysen) sowie 'Wait and See' ist da kein Platz. Unser Klassiker in Sachen Prostatakrebs, Julius Hackethal, würde vor jedem dieser im Aufbau befindlichen Zentren Warnschilder aufstellen. Für die Selbsthilfegruppen habe ich im Krebs-Kompass (
www.krebskompass.de) eine Kritik dieser Eröffnungsveranstaltung geschrieben, welche ich im folgenden kopiere:
Das Prostata-Zentrum Berlin stellt sich vor
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Hallo:-
In den Berliner Zeitungen angekündigt mit: „Prostatakrebs – Was kann ich tun? Eine Expertenrunde steht Rede und Antwort “ fand gestern (14.Januar 2009) eine Informationsveranstaltung des Prostata-Zentrums Berlin im Kulturhaus Mitte, in unmittelbarer Nachbarschaft zum St. Hedwig-Krankenhaus statt.
Der Saal war überfüllt. Wer spät kam, musste stehen. Das Publikum entsprach in etwa dem der Selbsthilfegruppen, einige Frauen späteren Alters waren dabei, aber auch einige Jüngere, vermutlich Krankenschwestern oder Partnerinnen der vortragenden Doktores: das waren junge, smarte und redegewandte Mediziner. Die leitenden Professoren der Charité hatten offenbar ihren karrierebewussten Nachwuchs an die Front geschickt.
Im Eingangsbereich das BPS-Magazin und das Faltblatt der Prostatakrebs- Selbsthilfegruppe Berlin/Brandenburg.
Als großen Fortschritt in der Behandlung an Prostatakrebs Erkrankter angekündigt und vom Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe BPS vorbehaltlos unterstützt, sollen diese bundesweit in der Entstehung befindlichen Zentren die Prostata-spezifischen Fachgebiete vernetzen, erfahrene Spezialisten zusammenführen, welche in prä- und posttherapeutischen Konferenzen individuelle Behandlungspläne erstellen, was dann zu einer Steigerung der Behandlungsqualität, zu einem offensiven Komplikationsmanagement und für die Patienten zu einer Verbesserung des tumorfreien Überlebens führen soll. Monatliche Fortbildungsveranstaltungen sollen stattfinden, um die beteiligten Experten mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen à jour zu halten.
Beteiligt sein sollen: ein Vorstand des Zentrums, Urologe, Strahlentherapeut, Pathologe, Psychoonkologe, ReHa-Klinik, Sozialdienst, Physiotherapie, der ambulante Urologe, die Selbsthilfe. In interdisziplinärer Kompetenz soll in Vernetzung mit der ambulanten Praxis die leitliniengerechte optimale Therapie geplant und durchgeführt werden, wobei die Zentren sich als „Zweite Meinung“ verstehen im Verhältnis zur „Ersten Meinung“ des erstbehandelnden ambulanten Urologen.
Das sind die hehren Ziele.
Es folgten Vorträge des Urologen und des Strahlentherapeuten mit detaillierter und schaubildlicher Beschreibung der Vorgehensweise bei der Operation (Prostatektomie) und der Bestrahlung. Sehr überzeugend die Fortschritte in der Strahlentherapie: IMRT, IGRT, TOMO. Risiken und Nebenwirkungen beider „kurativer“ Therapien wurden objektiv beschrieben. Sehr informativ auch der Vortrag des Chef-Pathologen Professor Dr. Erbersdobler zu latenten Tumoren, Stanzbiopsie, Gleason, Erkrankungsrisiko und Sterbehäufigkeit.
Zweifel und Kritik
Es wurde applaudiert. Unbehagen regte sich bei der Darstellung der Operationsschritte. Da wird manchem zum ersten Mal klar geworden sein, wie schwer diese Operation ist und was dabei alles passieren kann. Es fehlten im Publikum auch nicht der zufriedene Patient und die Frau, die „gut damit leben kann“, dass ihr Mann impotent ist. „Das ist nun mal so“ waren ihre Worte. Ein anderer brachte sein Rezidivproblem zur Sprache.
Nahe an wirkliche Kritik kam da schon die Feststellung eines SHG-Mitglieds, dass diese Krebszentren dem Betroffenen eigentlich keinen „Seitenausgang“ offen ließen.
Dem kritischen Beobachter allerdings tun sich noch andere Fragen auf.
Die im Entstehen begriffenen Krebszentren sind ein Moloch, der die Patienten unweigerlich radikalen Therapien zuführt. Der Betroffene verfügt im Normalfall ja auch gar nicht über das Wissen um seine Krankheit, kennt die Alternativen nicht, hat der geballten Fachkompetenz des Expertenteams nichts Eigenes entgegenzusetzen. Als Kassenpatient hat er auch gar nicht die Mittel, sich von Privatärzten individuell behandeln zu lassen.
Privatärzte und Urologen, die sich solchen Prostatazentren nicht anschließen, werden durch das System automatisch diskreditiert.
Diagnostiziert und behandelt wird streng nach Richtlinie, per Stanzbiopsie und radikal. Schonende Diagnostik und innovative, nicht radikale Therapien haben in diesem System keinen Platz.
Was in diesen Krebszentren geboten wird, ist eigentlich alter Wein in neuen Schläuchen, die nur größer sind und dem Gesundheitssystem mehr Geld kosten und ein Mehr an Bürokratie notwendig machen werden. Ein wirklicher Fortschritt ist das nicht.
Was Mitglieder von Selbsthilfegruppen in diesem System bewirken können, ist eigentlich nur ein Absegnen ärztlicher Empfehlungen sowie Zuspruch und Mutmachen bei Patienten. Querdenker aus diesen Gruppen, die mit Einwänden und Gegenberatung den Therapieweg stören könnten, wird man nicht dulden.
Wenn, wie der Chef-Pathologe überzeugend darlegte, nur 2,9% der 60-jährigen am Prostatakrebs sterben, dann sollte es doch das vorrangige Ziel eines Krebszentrums sein, herauszufinden, ob der Einzelne, der ein solches Zentrum aufsucht, zu den 97,1% gehört, die an diesem Krebs nicht sterben werden, weil er im Regelfall extrem langsam wächst, manchmal schon mit einer Umstellung der Ernährung und antiangiogenen Mitteln beeinflussbar und auch medikamentös über lange Zeiträume gut behandelbar ist. Schonende Diagnostik durch bessere bildgebende Verfahren und Feinnadel-Biopsien, DNA-Analysen zur verlässlicheren Bestimmung der Malignität und der Prognose, was hierfür notwendig wäre, kommen in Prostata-Zentren jedoch nicht vor.
Die Klagen, die gelegentlich zu hören sind, dass es in der Krebstherapie in den letzten 30 Jahren trotz vieler Millionen Forschungs- und Spendengelder „keinen wirklichen Durchbruch“ gegeben habe, sind berechtigt. Bei Prostatakrebs ist das allerdings ein hausgemachtes Problem. Hier haben wir keinen Forschungsrückstand sondern einen Anwendungsrückstand. Prostata-Zentren sind kein wirklicher Fortschritt, verfestigen nur bestehende, unbefriedigende Strukturen.
Reinardo
Die Brustkrebs-Zentren mögen Vorbild für die Prostata-Zentren gewesen sein, sie sind es aber nur in organisatorischer Hinsicht. Hinsichtlich Diagnostik und Therapien ist man bei Prostatakrebs vom erreichten Standard bei Brustkrebs weit entfernt. D.O.