Urodynamische Effekte eines isopropanolischen Extraktes der Traubensilberkerze (iCR)
Harninkontinenz zieht innerhalb des menopausalen Beschwerdekomplexes größte psychische Probleme nach sich. Konservative und operative Therapieverfahren finden ebenso wie medikamentelle Behandlungsansätze wenig Anklang. Aus diesem Grund ist eine zunehmende Zahl von Frauen in den Wechseljahren auf der Suche nach einer sicheren, nebenwirkungsarmen Alternative, die sowohl zur kurzfristigen Symptomverbesserung als auch zur langfristigen Rezidivprophylaxe der Harninkontinenz geeignet ist. So wurde ein seit langem zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden etablierter isopropanolischer Extrakt der Traubensilberkerze (iCR) in verschiedenen Modellen der Harninkontinenz untersucht. Neun sterilisierte Hündinnen zeigten nach etwa 2 Wochen Therapie eine stark gebesserte Inkontinenzsymptomatik, die bei zwei Tieren sogar über 12 Monate anhielt. Möglicherweise verantwortliche Pathophysiologiemechanismen wurden an katheterisierten weiblichen Ratten untersucht: Der isopropanolische Extrakt der Traubensilberkerze steigerte den vor einer Miktion maximal tolerierbaren Blaseninnendruck. Nach Therapie entspricht dieser Blaseninnendruck wieder dem intakter Ratten und ist signifikant höher als der von unbehandelten, ovariektomierten Kontrolltieren. iCR bietet somit in einer vermutlich geringgradig zu erhöhenden Dosierung eine Option zur Therapie der postmenopausalen Harninkontinenz.
Einleitung
Im menopausalen Beschwerdekomplex treten einzelne Symptome erst in späteren Jahren nach der letzten Regelblutung auf, können aber in manchen Fällen bis ans Lebensende bestehen. Dazu zählen vor allem Scheidentrockenheit, Gewichtszunahme, Libidoverlust und Urininkontinenz.
Besonders Letztere ist mit erheblichen Beeinträchtigungen des täglichen Lebens und großen psychischen Problemen verbunden.
Zu den Behandlungsmöglichkeiten zählen konservative Therapieverfahren wie Beckenbodentraining oder Verhaltens-therapie, operative Eingriffe sowie medikamentöse Behandlungsansätze mit beispielsweise systemischen Estrogenen, alpha2-Adrenergika oder Parasympatholytika. Zum einen ist der Kurzzeiterfolg synthetischer Hormonersatzpräparate vermutlich auf östrogene Effekte am Urogenitalepithel zurückzuführen und somit risikoassoziiert (Hyperplasie, Metaplasie, Neoplasie), zum anderen wird vermutet, dass die Östrogentherapie auf längere Sicht sogar die Gefahr erhöht, später im Leben an Harninkontinenz zu erkranken.1, 2 Während konservative und operative Verfahren wegen mangelnder Compliance, eines verzögerten Wirkungseintritts oder der Angst vor OP-Risiken nur wenig Resonanz finden, sind die medikamentösen Alternativen wegen kardiovaskulärer oder ZNS-Nebenwirkungen oft keine Therapie der ersten Wahl.
Menopausale Frauen suchen zunehmend nach sicheren, nebenwirkungsarmen Alternativen, die sowohl zur kurzfristigen Symptomverbesserung als auch zur langfristigen Rezidivprophylaxe der Harninkontinenz geeignet sind. Ein isopropanolischer Extrakt (iCR) aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze (Actaea syn. Cimicifuga racemosa [L.] Nutt., Remifemin®) ist ein seit langem in Europa etabliertes Medikament zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden.3, 4
Mit einem vergleichbaren Verlauf und einer vergleichbaren Inzidenz kommt Harninkontinenz auch bei sterilisierten Hündinnen vor. In großstädtischen Gebieten wird die Operation zur Vermeidung unerwünschten Nachwuchses bei bis zu 80% aller Hündinnen vorgenommen. Als Folge des Eingriffes tritt die Harninkontinenz dann nach durchschnittlich 2,7 Jahren bei bis zu 20% der Tiere auf.5 Die Behandlungsmöglichkeiten entsprechen denen des Menschen, sodass hier ein ideales Therapiemodell zur Verfügung steht, welches durch das Pathophysiologiemodell der ovariektomierten Ratte ergänzt werden kann. Zum Vorteil der homogenen Ausgangspopulation kommt hier die Möglichkeit, mittels Blasenkatheter den Harnblaseninnendruck zu messen.
Material und Methoden
Natürliches Therapiemodell
Neun Hündinnen, bei denen die Sterilisation durchschnittlich 14 (923) Monate zurücklag und die sich mit einer mehrwöchig anhaltenden Harninkontinenz in einer Kleintierklinik präsentierten, wurden in die Studie aufgenommen. Die Patientenbesitzer erhielten zur Applikation an ihre Tiere Tabletten, die iCR in einer Dosis von 20mg Droge enthielten. Als Einstiegsdosis wurde 1 Tablette (d. h. 20mg Droge) je 10kg KG vereinbart, die bei Bedarf verdoppelt werden konnte. Subjektiv erfahrene Symptomverbesserung wurde als Erfolgsparameter herangezogen.
Experimentelles Pathophysiologiemodell
Adulte weibliche Sprague-Dawley-Ratten wurden mittels ven-traler Laparotomie ovariektomiert (OVX), um die endogene Estrogenproduktion auszuschalten und einen der Postmenopause vergleichbaren Hormonstatus zu erzielen. 6 Monate nach OVX wurden die Harnblasen der Tiere unter Urethannarkose perkutan katheterisiert. Über einen 2-Kanal-Katheter wurde der Blaseninnendruck registriert, während durch den zweiten Kanal parallel isotone körperwarme Kochsalzlösung mit einem Volumenstrom von 1,2ml/h instilliert wurde. Jede Miktion konnte deutlich am Druckabfall festgestellt werden. Der Blaseninnendruck wurde mittels Analogschreiber und Millimeterpapier abgelesen und als arbiträre Einheit angegeben (U).
Eine Gruppe von 7 Tieren wurde vor Blaseninnendruckmessung über vier Wochen mit dem iso-propanolischen Remi-femin®-Extrakt (60mg Droge/kg KG) behandelt. Eine nicht ovariektomierte (n=12) und eine unbehandelte OVX-Gruppe (n=8) dienten als Kontrollen.
Ergebnisse
Bei neun sterilisierten Hündinnen stellte sich nach etwa 2 Wochen Therapie mit iCR in einer Dosis von ca. 20mg Droge/10kg KG eine deutliche Verbesserung der Inkontinenzsymptomatik ein. Während die meisten Tiere nicht über einen mehrmonatigen Zeitraum beobachtet werden konnten, war bei zwei Tieren der Therapieerfolg sogar noch nach 12 Monaten Dauertherapie festzustellen (Tab.). Bei einem Patienten (# 7) war die Initialdosis nicht ausreichend, der Therapieerfolg stellte sich jedoch bei Dosiserhöhung um das 1,5-Fache ein.
Im Modell der OVX-Ratte zeigte sich der zugrunde liegende Mechanismus: Der maximal tolerierbare Blaseninnendruck war bei iCR-behandelten Ratten signifikant höher als bei unbehandelten Kontrollen und erreichte das Niveau von NOVX-Tieren (Abb.).
Diskussion
Blasenentleerung wird als spino-bulbo-spinaler Reflex über ein Koordinationszentrum im rostralen Hirnstamm gesteuert. In der übergeordneten Hirnrinde sind Neurotransmitter wie GABA, endogene Opiate und Glutaminsäure involviert.6 Als pathophysiologischer Mechanismus postmenopausaler Harninkontinenz wird meist eine veränderte Dichte und/oder Ansprechbarkeit bestimmter Rezeptoren der neuromuskulären Reizleitung vermutet. Extrakte der Traubensilberkerze haben die Fähigkeit, an Estrogenrezeptoren zu binden. Außerdem fungieren sie als Liganden/Transmitter an GABA-, 5HT- und Dopaminrezeptoren.4 Möglicherweise erklären diese Effekte auch die beobachtete Besserung der Inkontinenzsymptomatik durch iCR.
Interessanterweise konnten wir im Modell der OVX-Ratte beobachten, dass es nur bei Durchführung einer ventralen Laparatomie, nicht jedoch bei Operation über einen dorso-lateralen Zugang zur Bauchhöhle zu einer Verminderung des maximal tolerierbaren Blaseninnendrucks bzw. -volumens kommt (unveröffentlichte Daten). Ventrale Laparatomie ist gleichzeitig die Standardtechnik zur Sterilisation von Hündinnen. Möglicherweise tritt also hier eine zusätzliche, durch das chirurgische Trauma bedingte Störung der neuromuskulären Reizleitung auf, die besonders die lange Bauchmuskulatur (M. rectus abdominis) betrifft. Dieser Muskel wird bei der dorso-lateralen Technik geschont und scheint an der Ausprägung der Inkontinenzsymptomatik entscheidend beteiligt zu sein. Inwieweit die beobachteten Therapieerfolge von iCR bei der Harninkontinenz in zwei verschiedenen Tiermodellen auf eine Beeinflussung traumabedingter Veränderungen der Bindegewebsstruktur zurückzuführen sind, muss in weiteren Versuchen abgeklärt werden.
Schlussfolgerung
Die in Tiermodellen beobachtete Besserung einer experimentellen Harninkontinenz durch einen isopropanolischen Cimicifugaextrakt (Remifemin®) scheint unabhängig von einer Beeinflussung der induzierten Hormonmangelsituation abzulaufen. Die möglichen Angriffspunkte für iCR, zum einen die chirurgisch bedingte Bindegewebsschwächung, zum anderen die Veränderungen der neuromuskulären Reizleitung, kommen auch als pathogenetische Faktoren für die Harninkontinenz postmenopausaler Frauen in Betracht.7 Die Untersuchung von Cimicifugaextrakten in klinischen Studien zur Harninkontinenz ist somit dringend geboten.
Korrespondenzadresse: Dr. med. vet. Thomas Nißlein,Schaper & Brümmer GmbH & Co. KG,38259 Salzgitter, Bahnhofstrasse 35; thomas.nisslein#schaper-bruemmer.de
13.5.07